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Überlingen,

Flugzeugabsturz bei Überlingen am 01.07.02

Tupolew-Passagierflugzeug und Boeing-Frachtflieger kollidieren über dem westlichen Bodenseekreis - Trümmer in 30 Kilometern Umkreis

Montag 01.07 2002, 23.40 Uhr.

Ein sekundenlanges Donnergrollen in nie zuvor dagewesener Lautstärke schreckt die Anwohner am nördlichen Bodenseeufer auf. In gleißendem Licht fallen aus unendlich erscheinender Höhe größere und kleinere Teile vom Himmel:

In einer Höhe von 10500 m kam es zu einem fatalen Zusammenstoß zweier Großflugzeuge, eines Passagierflugzeuges vom Typ Tupolew und einer Boeing 757-200.

Die sofort anlaufenden Rettungsmaßnahmen und die nach und nach eingehenden Nachrichten über die Herkunft und die Passagierzahlen der Flugzeuge versetzen eine ganze Region in grausames Entsetzen: Alle 69 Passagiere, Piloten und Besatzungsmitglieder der Tupolew, darunter überwiegend Kinder und Jugendliche auf dem Flug von Moskau nach Barcelona, sowie die beiden Piloten der Boeing (Frachtflugzeug der DHL) verlieren bei diesem Unglück ihr Leben. Wie durch ein Wunder werden durch die herabfallenden Trümmer am Boden keine Menschen verletzt.

Dienstag 02.07.02, 00.05 Uhr.

Da bislang über die Rettungsleitstelle keine Alarmierung des örtlichen Technischen Zuges im THW OV Überlingen erfolgte, nimmt der Ortsbeauftragte Markus Wuermeling selbst telefonisch Kontakt mit der Rettungsleitstelle im Landratsamt Friedrichshafen auf und bietet Hilfe bei der Ausleuchtung der Einsatzstellen sowie Suchmannschaften an. Gleichzeitig läuft die Vollalarmierung der eigenen Helfer an. Die umliegenden Ortsverbände Stockach, Radolfzell, Konstanz, Pfullendorf, Weingarten, Friedrichshafen und Biberach werden ebenso in Kenntnis gesetzt wie der Geschäftsführer in Biberach. Unmittelbar darauf fordert die im Feuerwehrhaus in Überlingen im Aufbau befindliche TEL den Fachberater des THW an.

In dieser Nacht hilft das THW mit insgesamt 95 Helfern der obengenannten Ortsverbände bei der Suche nach Opfern und Trümmerteilen bis zum Abbruch des Großeinsatzes durch die TEL auf Veranlassung der Polizeidirektion (PD) Friedrichshafen gegen 6.20 Uhr.

Dienstag 02.07.02, 18.20 Uhr.

Nach Rücksprache mit dem Kreisbrandmeister stellen die Feuerwehren im Bodenseekreis 4 Polyma-Lichtmastanhänger dem THW zur Verfügung. Hiermit werden in der kommenden Nacht verschiedene, von großen Einheiten der Bereitschaftspolizei bewachte und weiträumig abgesperrte Trümmergebiete ausgeleuchtet.

Dienstag 02.07.02, 19.50 Uhr.

Anfrage der PD Friedrichshafen: Kann der TZ des OV Überlingen ein großes Rumpfstück mit darin eingeklemmten Opfern der Tupolew öffnen, sowie den Zugang zum Cockpit ermöglichen?

In einer ersten gemeinsamen Besprechung mit dem Zugführer Robert Johannsen und den Gruppenführern Oliver Frassmann, Heinz Beck und Alexander Schreiner, dem Zugtruppführer Thomas Schrettinger, dem Schirrmeister Siegfried Schwägler und den Kraftfahrern Michael Kuthada und Karl-Berthold Lohr zu den in dieser Dimension erstmalig an den OV Überlingen gestellten Anforderungen wird diese Frage in der Unterkunft ausführlich erörtert. Danach findet unter Ausleuchtung der Trümmerstelle durch den OV Münsingen mit dem Helimax-Leuchtballon eine Lageerkundung vor Ort statt.

Wenige Meter von der Unfallstelle entfernt verläuft eine 120KV-Freileitung des Energieversorgers EnBW.

Daneben liegt der durch den Sturz aus 12.000 Metern Höhe am Boden völlig zerschellte Rumpf mit dem Cockpit und dem Bugrad der Tupolew in einer zwei Jahre jungen Apfelplantage.

Bereits außerhalb der Trümmer befinden sich verstümmelte Leichen und Leichenteile am Boden. Die Situation lässt innerhalb der Trümmer nur die schlimmsten Vermutungen zu.

Schnell wird klar, daß zur Ausführung der angefragten Aufgaben zusätzlich zu dem Gerät des Technischen Zuges ein großer 70 Tonnen Mobilkran erforderlich sein wird. Rücksprache mit dem Energieversorger wird gehalten, die Besitzer von Nachbar-Grundstücken werden wegen der Durchfahrt durch ihre Grundstücke informiert.

Nach Rücksprache mit der Kriminalpolizei kann ein Kranunternehmen (Fa. HERTER) noch in der Nacht zum Ortstermin gerufen werden, um die Vorbereitungen für die Arbeiten am kommenden Tage zu treffen.

Mittwoch 03.07.02, 10.30 Uhr.

Nachdem am Vormittag die weiteren Vorbereitungen für die Öffnung des Tupolew-Rumpfes getroffen, Versorgungsfahrten durchgeführt und darüber hinaus weitere mögliche Einsatzstellen für das THW besichtigt wurden, beginnt im Auftrag der BFU (Bundesanstalt für Flugunfall-Untersuchung) die Öffnung des Rumpfes. Stück für Stück arbeiten sich die freiwilligen Helfer des THW durch die linke Außenhaut des zerschellten Düsenflugzeuges. In Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Tatortgruppe des BKA (Beweissicherung u. Dokumentation), Gerichtsmedizinern und den Fachleuten der BFU werden unter dem Schutz eines Löschtrupps der FFW Überlingen die Trümmer mit Rettungsscheren, Trennschleifern, Hebegeräten und dem Mobilkran zerlegt und abgetragen. Bis gegen 18.00 Uhr werden aus dem Wrack die beiden Piloten sowie 22 Opfer, meist Kinder und Jugendliche, durch das Unglück grausam entstellt, geborgen.

Gegen 17.00 Uhr löst der TZ des OV Stockach die Helfer des OV Überlingen ab.

Bis zum nächsten Morgen um 04.00 Uhr dauern die Bergungsarbeiten letztlich an. Am Ende zeugt nur noch eine Schneise in der Apfelplantage von dem Unglück, alle anderen Spuren sind penibel beseitigt.

In den kommenden Tagen werden weitere Anforderungen an die Helfer des THW gestellt:

Die Bergung der Triebwerke der Boeing und der Fahrwerke, die an verschiedenen Stellen im ca. 30 km2 großen Einsatzgebiet zu Boden gingen, musste ebenso bewerkstelligt werden wie die Vorbereitung der abgebrochenen Tragflächen für den Transport an den Flughafen in Friedrichshafen. Das Heck der dreistrahligen Tupolew sowie das dazugehörige Leitwerk muss in stundenlanger, mühsamer Kleinarbeit unter größten Sicherheitsvorkehrungen und wiederum unter dem Schutz eines Löschtrupps der FFW Überlingen zerlegt werden.

Schwertransporte von bis zu 6,50 m Breite, 20 m Länge und weit über 4 m Höhe werden von einem Transportunternehmen mit großen Tiefladern unter Polizeibegleitung von der Absturzstelle zum Flughafen in Friedrichshafen durchgeführt. Einmal begonnene Einsatzabschnitte werden bis in die frühen Morgenstunden zu Ende geführt.

Samstag 06.07.02, 07.00 Uhr.

Eintreffen des TZ und der FG Räumen des OV Friedrichshafen in der Unterkunft des OV Überlingen, kurz danach Eintreffen des TZ des OV Weingarten.

In einem zweitägigen Einsatz jeweils bis gegen 23.00 in der Nacht werden die Trümmer der Boeing, die in einem abschüssigen Waldgelände im Ortsteil Taisersdorf nieder gingen, sowie eine noch mit Kerosin beladene, bis zu 4 m in der Erde steckende Tragfläche der Tupolew geborgen und auf Tieflader bzw. in Mulden und Container geladen. Der Treibstoff wird zuvor durch die FFW Überlingen abgepumpt. Zur gleichen Zeit hebt die FGr Räumen den Boden in der Apfelplantage aus und verlädt diesen in Absetzmulden.

Die hervorragende Versorgung der Helfer an diesem Tag erfolgt durch den Verpflegungstrupp des OV Wangen.

Auf Anforderung der DLRG Radolfzell läßt die FGr W des OV Überlingen am Sonntag den 07.07.02 deren Boot auf dem Andelshofer Weiher zur Leichensuche mit drei Spezial-Suchhunden zu Wasser.

Ebenfalls am Sonntag den 07.07.20 sowie am Montag den 08.07.02 stellt der OV Überlingen zwei Fahrer mit dem Unimog des OV Biberach der Führungsstelle „Suchen" bei der Polizei in Owingen für den Abtransport weiterer Fundstücke, die mit dem Helikopter geortet werden, zur Verfügung. Dieser Einsatz endet nach Rückkehr von der Abgabe der Fundstücke am Flughafen in Friedrichshafen spät in der Nacht.

Mit der Überarbeitung der Einsatztagebücher sowie der Erstellung eines Einsatzberichtes geht der Einsatz am Montagabend für die Mitglieder des OV Überlingen gegen 23.00 Uhr zu Ende.


Insgesamt eingesetzte Kräfte und Gerät:

Bei diesem Einsatz haben 158 Helfer aus 13 Ortsverbänden in 4468 Einsatzstunden bis an die Grenzen sowohl der physischen als auch der psychischen Belastbarkeit Menschenmögliches geleistet.

8 MTW, 5 GKW I, 5 GKW II, 2 LKW MAN 6x6 GL mit Kran, 1 LKW MAN 6x6 GL Kipper, 1 LKW DB 1113 Kipper, 3 Unimog, 2 ItrKW, 1 Radlader Zettelmeier, 1 Tieflader, 1 PKW DB 230, 1 Feldkochherd sowie 1 2-Achs-Hänger 7to der verschiedenen Ortsverbände kamen zum Einsatz. Darüber hinaus haben 1 Mobilkran 70 to, 1 Mobilkran 40 to, 1 Planierraupe und 3 große Kettenbagger, 4 Tieflader mit Schwerlastzugmaschinen sowie verschiedene Absetzmuldenkipper und Abroller mit unzähligen Mulden und 40 m3 Containern eines Privatunternehmens (Fa. HERTER) unsere Arbeit in unzähligen Stunden unterstützt.

Danksagung

Die Zusammenarbeit mit den anderen Fachdiensten in einer Gesamthelferstärke von weiteren 750 Frauen und Männern, den Mitarbeitern der BFU, des BKA sowie den über 6000 eingesetzten Kräften der Polizei des Landes Baden-Württemberg und den weiteren zuständigen Behörden war hervorragend. Die erbrachte Leistung verdient angesichts des größten Einsatzes in der Geschichte des südwestlichsten Bundeslandes höchste Anerkennung und Dank an alle Kräfte.

Markus Wuermeling

Ortsbeauftragter OV Überlingen

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